Champions League im Handball: Mensch mit Größe
Mathias Gidsel von den Füchsen Berlin gilt als weltbester Handballer. Im Finalturnier der Champions League schwächelt er und Magdeburg triumphiert.

Die Füchse verloren 26:32. In der Interviewzone der Arena in Köln-Deutz bilanzierte ein gar nicht so enttäuschter Gidsel, dass der Gegner einfach besser gewesen war.
Wer den Dänen aus Skjern bei der Heim-WM im Januar in Herning und später in Oslo gesehen hatte, kam aus dem Schwärmen nicht heraus – obwohl ja jede Welt weiß, wie gut der eher schmale Linkshänder mit den geschmeidigen Bewegungen ist. Keiner hat mehr Körperkontrolle.
Vorn wie hinten gönnt Gidsel seinem Körper keine Pause, geht voran, will immer spielen; die Form der Weltmeisterschaft konservierte der freundliche, ruhige Weltstar dieser Sportart in Berlin und führte sie gerade zur ersten deutschen Meisterschaft. Nahbar für die Fans, gerade die jungen, und mit der Gabe gesegnet, aus seinen Mitspielern das Beste herauszuholen, ist der bis zum 30. Juni 2029 unter Vertrag stehende Däne Herz und Motor der Berliner.
Als er im Halbfinale nach neun Minuten wegen einer unnötigen Grätsche rausmusste, gab er dem Team in der Pause mit auf den Weg: „Macht es einfach ohne mich. Ihr könnt das. Mein Traum ist geplatzt, aber eurer lebt weiter.“ Jeder wuchs über sich hinaus, Nantes hatte keine Chance. Besonders Nils Lichtlein, der junge Fuchs, und Fabian Wiede, der erfahrene Linkshänder, trugen die Mannschaft.
Stark ohne Gidsel
Kurioserweise wirkten die Berliner dann im großen Finale der Champions League am Sonntagabend mit ihrem Anführer verwundbar (eine Rote Karte zieht im Handball keine Sperre nach sich). Magdeburg doppelte ihn, ließ ihm keinen Raum zur Entfaltung. Gar keinen Raum, denn er braucht wenig. So war diese einseitige Partie mit dem 23:17 für den SCM Mitte der zweiten Halbzeit entschieden. Mut und Entschlossenheit des Halbfinals waren verschwunden – was auch an vielen Paraden des Magdeburger Torwarts Sergey Hernandez lag. Besonders Mathias Gidsels Nationalmannschaftskollege Lasse Andersson traute sich kaum noch, zu werfen. So blieb Gidsel nur, seinem Kumpel auf der anderen Seite, Magnus Saugstrup, zu gratulieren.
Der hatte ihn mit allen erlaubten Mitteln bekämpft. Später lagen sie sich in den dänischen Armen. „Wir wissen doch alle, dass Mathias der beste Spieler der Welt ist“, lobte Saugstrup, „ihm geht die Kraft nie aus. Aber wir waren immer zu zweit an ihm dran, dann wird es selbst für ihn schwierig.“
Vor dem Spiel hatte der Berliner Kollege Matthes Langhoff noch staunend gesagt, dass Gidsel für alle müden Handballprofis ein Vorbild sei: „Wir haben alle so viel gespielt die vergangenen beiden Jahre. Aber du traust dich im Training nicht, müde zu sein, weil Mathias jeden Tag wirkt, als hätte er gerade zwei Wochen Urlaub gehabt.“
Viel durchgemacht
Seit bei der WM 2021 in Ägypten sein Stern aufging, hat Gidsel viel durchgemacht. Er machte seine mentalen Probleme öffentlich. Selbstzweifel und düstere Gedanken hatten ihn an den Rand seiner Kräfte gebracht. Gidsel suchte professionelle Hilfe, sprach drüber und enttabuisierte so dieses im Profisport verbreitete, aber verschwiegene Thema.
Die Verletzungspause nach einem Kreuzbandriss ein Jahr später nutzte er für weitere mentale Stabilisierung. Nun ist da ein 26 Jahre junger Mann aus dem ländlich-jütländischen Skjern, der jetzt erst mal mit Freundin und Hund zu seinen Eltern fährt, die Hausmannskost seiner Mutter genießt und vom Prenzlauer Berg in die unscheinbare Normalität der dänischen Provinz entflieht. Wobei er gar nicht fliehen muss; Gidsel erfüllt seinen öffentliche Part geduldig, ohne jedes Stargehabe. Er hat den inneren Abstand zu seiner äußeren Rolle gefunden. Vielleicht ist diese Leistung sogar die beeindruckendere als Tore, Pässe, Zweikämpfe.
Dass er diesmal leer ausging – davon war Mathias Gidsel nichts anzumerken, als er Sonntagabend versonnen vor sich hin lächelnd durch den Keller der Arena ging. Er wird weitere Chancen bekommen, wenn nicht mit den Füchsen, dann ganz bestimmt im Trikot der dänischen Nationalmannschaft. Niederlagen haben großen Karrieren nie geschadet.
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